Medizinprodukte Berlin Anwalt, Kanzlei für Medizinrecht, Abmahnunng Medizinprodukt, Heilmittelwerberecht, Arzneimittelgesetz
10. Dezember 2022
zurück zur Newsübersicht

Abgrenzung Arzneimittel / Nahrungsergänzungsmittel

Nach einer Entscheidung des BVerwG lohnt sich ein Blick auf die Abgrenzung von Nahrungsergänzungs- zu Arzneimitteln und deren rechtliche Konsequenzen.

Die Abgrenzung Arzneimittel - nicht Arzneimittel weist eine erhebliche rechtliche Bedeutung auf. Denn je nach Einstufung richtet sich, welches Gesetz anzuwenden ist:

  • Wer Arzneimittel herstellt, bedarf nach § 13 AMG einer Herstellungserlaubnis.
  • Inhalt und Umfang der Kennzeichnungsvorgaben variieren je nach Einstufung
  • die Höhe der Vermarktungshürden ebenfalls
  • Sowie auch Anforderungen an die Produktwerbung und die zu beachtenden regulatorischen Vorgaben.

Zur Vermeidung behördlicher Beanstandungen, Konkurrentenklagen/-Abmahnungen und dergleichen oder gar eines Produktrückrufs ist eine Präzise Abgrenzung und Ermittlung des geltenden Rechtsraums unabdingtbar.

Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel und Legaldefinition

In der Praxis erweist sich die Abgrenzung zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln je nach Produkt als  schwieriges Unterfangen. Im Rahmen der Abgrenzung sind u.a. folgende Legaldefinitionen zu berücksichtigen.

In § 1 NemV werden „Nahrungsergänzungsmittel“ wie folgt legaldefiniert:

Lebensmittel, das

  1. dazu bestimmt ist, die allgemeine Ernährung zu ergänzen,
  2. ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellt und
  3. in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht wird.

In § 2 AMG werden „Arzneimittel“ wie folgt legaldefiniert:

(1) Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer  Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder

2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.

Abgrenzungskriterien der bisherigen Rechtsprechung

In einer Gesamtschau der Urteile zur Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln zu Arzneimitteln lassen sich einige Grundsätze und Kernkriterien für eine richtige Einordnung definieren:

  • Die Abgrenzung unter Berücksichtigung des Arzneimittelbegriffs: Ein Arzneimittel ist gem. § 1 Abs. 1 NemV kein Lebensmittel und mithin kein Nahrungsergänzungsmittel.
  • Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die pharmakologische Wirkung des Produkts: Von einer solchen ist auszugehen, wenn das Produkt die physiologischen Funktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise beeinflusst. Eine solche Beeinflussung setzt wiederum voraus, dass die Einnahme des Produkts zu einer erheblichen Veränderung der Funktionsbedingungen des Organismus führt und Wirkungen hervorruft, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegen. In diesem Fall geht das Produkt eindeutig über eine bloße Ergänzung der Ernährung hinaus, was für die Einordnung als Arzneimittel spricht (vgl. etwa BGH, Urteil v. 10. Februar 2000 – I ZR 97/98; BVerwG, Urteil v. 25. Juli 2007 – 3 C 23/06 m.w.N.).  Die pharmakologische Wirkung, d. h. eine Wechselwirkung des Inhaltsstoffes eines Arzneimittels mit zellulären Strukturen des menschlichen Körpers muss die physiologischen Funktionen erheblich beeinflussen, also eine weitergehende und finale Wirkung auf den menschlichen Körper und seine Funktionen ausüben muss, als das mit dem Verzehr einer üblichen Menge eines Lebensmittels physiologisch möglich wäre. Auch muss diese Beeinflussung der physiologischen Funktionen des Körpers final der menschlichen Gesundheit dienlich sein. Produkte zu Rauschzwecken, die zudem gar eine gesundheitsschädliche Wirkung aufweisen, werden mangels Förderung der menschlichen Gesundheit trotz ihres pharmakologischen Wirkmechanismus nicht als Arzneimittel eingestuft.
  • Eine pharmakologische Wirkung ist eine von Außen gezielte Steuerung von Körperfunktionen, die nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleichbar ist. Denn bei dieser indentifiziert und modifiziert der Körper die benötigten Bestandteile selbstständig. Die erhebliche pharmakologische Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und das Vorliegen erheblicher pharmakologischer Wirkungen ist durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse zu belegen. Zwar ist kein positiver Wirksamkeitsnachweis (Evidenz) erforderlich, wie er Voraussetzung einer Arzneimittelzulassung wäre, es muss aber zumindest ein halbwegs gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand vorliegen, der einen tragfähigen Rückschluss auf die Wirkungen des jeweiligen Produktes erlaubt (Urteil des BVerwG vom 25. Juli 2007 – 3 C 23.06, Randnr. 23). "Pharmakologische oder metabolische Wirkungen eines Stoffes rechtfertigen nur dann dessen Zuordnung zu den Arzneimitteln, wenn sie die „Erheblichkeitsschwelle“ überschreiten. Eingriffe in die Körperfunktionen, die völlig unerheblich sind, können dagegen die Zuordnung zu den Arzneimitteln nicht rechtfertigen." (Urteil des BVerwG vom 16. Mai 2007 – 3 C 34.06).
  • Ergänzend wird auf die objektive Zweckbestimmung des Produktes abgestellt: Demnach gilt es die Frage zu beantworten, ob das Produkt nach den Modalitäten seines Gebrauchs, nach dem Umfang seiner Verbreitung, nach seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern und nach seinen Verwendungsrisiken eher arzneispezifischen oder lebensmittelspezifischen Zwecken dient (vgl. BGH, Urteil v. 26. Juni 2008 – I ZR 61/05; BGH, Urteil v. 1. Juli 2010 – I ZR 19/08; BGH, Urteil v. 14. Januar 2010 – I ZR 67/07; OLG Köln, Urteil v. 11. Dezember 2009 – 6 U 90/09), ob das Produkt also auf eine therapeutische bzw. prophylaktische Wirkweise gerichtet oder eher zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung bestimmt ist.

BVerwG: Gesundheitsrisiken sind in der Abgrenzung zu berücksichtigen

Toxische Wirkung als Kriterium

Mit der Frage, ob auch eine negative Wirkung, also eine toxische Wirkung, als pharmakologische Wirkung anzusehen ist, hat sich zunächst das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes beschäftigt (Urteil des Oberverwaltungsgerichtes des Saarlandes vom 3. Februar 2006 – 3 R 7/05 – „Weihrauch“) und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei einer toxischen Wirkung, die eine Gesundheitsgefahr sein kann, um eine sog. negativ pharmakologische Wirkung handelt, die es rechtfertigt die Stoffzusammensetzung als Funktionsarzneimittel zu qualifiezieren. Bestehende Gesundheitsgefahren (hier die Förderung von Entzündungsprozessen durch ein niedrig dosiertes Weihrauchpräparat)  erfordern im Zweifel die Anwendung des strengeren Gesundheitsrechts gegenüber dem weniger strengen Lebensmittelrecht.

Konsequenzen für die Praxis: Produktspezifische Verwendungs- bzw. Gesundheitsrisiken bewerten und berücksichtigen

Die besondere Betonung der Gesundheits- bzw. Verwendungsrisiken überrascht. Dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass dieses Kriterium keine Grundlage im Wortlaut der Legaldefinitionen findet (s.o.) und in der Rechtsprechung bislang – wenn überhaupt – nur beiläufig aufgezählt, nicht aber streitentscheidend angewandt wurde.

Mit dieser neuen Schwerpunktsetzung wird der gesetzgeberische Zweck der Unterscheidung betont und dessen Bedeutung für die Abgrenzung von Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln unterstrichen: Was die menschliche Gesundheit nicht (akut) gefährden kann, muss auch nicht den besonders strengen Marktzugangs- und Kennzeichnungsvorgaben des Arzneimittelrechts unterliegen.

Diesem naheliegenden, aber bislang nur beiläufig aufgeführten Kriterium dürfte künftig ein besonderer Stellenwert bei der behördlichen und gerichtlichen Produktbeurteilung zukommen. Produzenten und Vermarkter sollten sich für die richtige Einstufung ihres Produktes künftig also nicht nur mit dessen pharmakologischer Wirkung auseinandersetzen, sondern insbesondere auch die produktspezifischen Verwendungs- bzw. Gesundheitsrisiken bewerten und berücksichtigen.

Art. 1. Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG ist dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der in einer bestimmten Dosierung eine physiologische Wirkung hat, kein Funktionsarzneimittel ist, wenn es in Anbetracht seiner Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch gesundheitsgefährdend ist, ohne jedoch die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen zu können.

rechtliche Konsequenzen einer unrichtigen Abgrenzung

Die Tragweite einer (un)zutreffenden Einordnung als Nahrungsergänzungs- oder Arzneimittel wird deutlich, wenn man sich die Vielzahl der mit ihr einhergehenden rechtlichen Weichenstellungen bewusst macht. Denn die richtige Qualifikation entscheidet über Art und Umfang zahlreicher unternehmerischer Pflichten:

Dies gilt bereits mit Blick auf die Marktzugangsvoraussetzungen:

Für Nahrungsergänzungsmittel gelten grundsätzlich niedrige Zugangshürden wie für Lebensmittel. Arzneimittel unterfallen dengegenüber einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Für das Inverkehrbringen bedarf es deshalb einer behördlichen Zulassung (§ 21 Abs. 1 AMG). Ein Inverkehrbringen ohne Zulassung zieht ein Strafverfahren nach sich  (§ 95 Abs 1 Nr. 5 AMG). Demgegenüber erfordert das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels gem. § 5 NemV lediglich eine Anzeige und Vorlage eines Muster des Etiketts beim BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit).

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Nahrungsergänzungs- oder Arzneimittel besteht bei der Apothekenpflicht. Im Gegensatz zu Arzneimitteln sind Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich (§ 43 AMG i.V.m. ApoG).

Auch die Kennzeichnungsvorgaben unterscheiden sich deutlich:

  • Für Arzneimitteln sind zahlreiche Pflichtangaben normiert, wie die Angabe zur Anwendungsart (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 AMG), die Bezeichnung des Arzneimittels, die auch in Blindenschrift auf die Verpackung aufzubringen ist (§ 10 Abs. 1b AMG). Bei Arzneimitteln ist zudem die Beigabe einer Packungsbeilage zwingend, die den Patienten über Gesundheitsrisiken für bestimmte Personengruppen, Wechselwirkungspotentiale und die Straßenverkehrstauglichkeit informieren muss (vgl. § 11 AMG und § 3 AMWarnV).
  • Die Verpackung von Nahrungsergänzungsmitteln erfordert u.a. die Angabe der empfohlenen täglichen Verzehrmenge (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 NemV) und der Hinweis, dass das Produkt nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung dient erscheinen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 NemV).
  • Für Arzneimittel ist die Zusammensetzung nach Wirkstoffen und sonstigen Bestandteilen sowie Gewicht, Volumen und Stückzahl für jede Darreichungsform anzugeben (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 und 8 AMG). Auf der Verpackung von Nahrungsergänzungsmitteln – ähnlich wie bei Lebensmitteln – muss ein Zutatenverzeichnis und eine Nährstofftabelle aufgebracht sein (§ 4 Abs. 2 NemV i.V.m. LMIV).

Auch die Vorgaben für die Produktwerbung unterscheiden sich je nachdem ob ein Arzneimittel oder NAhrungsergänzungsmittel beworben werden soll. Hier bestehen für Arzneimittel zahlreiche Hinweispflichten, wie der bekannte Hinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ (§ 4 Abs. 3 HWG).


Jetzt Erstberatungstermin anfragen:

Sie können uns telefonisch, per E-Mail Direktanfrage oder folgendem Kontaktformular kontaktieren.

Direktanfrage per E-Mail
Jetzt Anrufen