Grober Behandlungsfehler bei unterlassener Schnittentbindung

Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 16.05.2014 (Aktenzeichen: 26 U 178/12) entschieden, dass eine um ca. 23 Minuten verzögerte Schnittentbindung bei der Geburt eines Kindes dann als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein kann, wenn auffällige Herzfrequenzwerten des Kindes zuvor die ärztliche Entscheidung zu einer alsbaldigen Geburtsbeendigung medizinisch indiziert hätten.

Das beklagte Krankenhaus und die dort praktizierende beklagte Ärztin wurden wegen geburtshilflicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im Rahmen des von der beklagten Ärztin durchgeführten Geburtsvorganges sank die Herzfrequenz des Kindes lebensgefährlich ab. Eine nach den Festlegungen des Sachverständigen indizierte Blutgasuntersuchung wurde von der beklagten Ärztin nicht vorgenommen. Die Ärztin führte daher keine Schnittentbindung durch. Sie setzte die Mutter zunächst ca. 15 Minuten, ohne die dringend angezeigte Beschleunigung des Geburtsvorgangs einzuleiten, auf einen Geburtshocker, bevor es unter Einsatz von Kristallerhilfe schließlich zu einer – im Vergleich zu einer Schnittentbindung – um ca. 23 Minuten verzögerten, spontanen Geburt kam.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Unter Heranziehung des vom Gericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten stellte das Gericht fest, dass die Maßnahmen der Beklagten bei der Geburtshilfe in ihrer Gesamtheit als grob fehlerhaft zu bewerten waren. Hiernach war nach Feststellung der auffälligen Herzfrequenzwerte des Kindes, die Geburt unter Anwendung des Geburtshockers zu fördern fehlerhaft. Die Ärztin hätte wegen der Gefahr einer Kindesschädigung eine sofortige Beendigung der Geburt einleiten müssen. Die anstelle einer Schnittentbindung in den letzten ca. 45 Minuten vor der Geburt durchgeführten Maßnahmen seien medizinisch nicht mehr nachvollziehbar und daher grob fehlerhaft. Dieser Tatbestand führt zulasten des beklagten Krankenhauses und der Ärztin zu einer Beweislastumkehr. Diese mussten nun unter Beweis stellen, dass die als grob fehlerhaft beurteilte Maßnahme nicht kausal zum Geburtsschaden führte, sondern vielmehr ein anderer Umstand hierfür ursächlich war, der Geburtsschaden folglich also auch bei ordnungsgemäßer Behandlung eingetreten wäre oder gar bereits vor der eigentlichen Geburt bestand. Diese Beweisführung gelang den Beklagten jedoch nicht.