BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Versagung eines Medizinprodukts

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Versagung eines Medizinprodukts und GBA-Regelungsbefugnisse unzulässig
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer gesetzlich Krankenversicherten als unzulässig verworfen, die sich gegen die Versagung eines Medizinprodukts zur Behandlung ihrer schwerwiegenden Erkrankung und gegen die Regelungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) gewendet hatte. Die Beschwerde sei insbesondere nicht ausreichend begründet gewesen. Soweit die Beschwerdeführerin die demokratische Legitimation des GBA bezweifelt habe, reichten generelle und allgemeine Zweifel nicht aus, um ein Legitimationsdefizit darzulegen (Beschluss vom 10.11.2015, Az.: 1 BvR 2056/12).
Schwerwiegend Erkrankte begehrt Kostenübernahme für vom GBA nicht für verordnungsfähig erklärtes Medizinprodukt

Die Beschwerdeführerin leidet an einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung der Harnblasenwand und beantragte bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse die Versorgung mit einem bestimmten Medizinprodukt zur Therapie dieser Krankheit. Die Krankenkasse lehnte die beantragte Versorgung mit der Begründung ab, das Medizinprodukt sei nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss in die Liste der verordnungsfähigen Medizinprodukte aufgenommen worden. Die Beschwerdeführerin habe auch keinen Anspruch auf eine Kostenübernahme nach den Grundsätzen des BVerfG-Beschlusses vom 06.12.2005 (BeckRS 2005, 31260) zur Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Sämtliche Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Versorgung blieben ohne Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Zurückweisung der Revision durch das Bundessozialgericht und mittelbar gegen § 31 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB V.
BVerfG: Verfassungsbeschwerde unzulässig

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen. Sie sei insbesondere nicht ausreichend begründet. Nach der BVerfG-Entscheidung von 2005 (BeckRS 2005, 31260) habe der gesetzlich Versicherte einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Krankenversorgung insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht.
Voraussetzungen für verfassungsunmittelbaren Anspruch bei lebensbedrohlicher Erkrankung nicht genügend dargelegt

Die Beschwerdeführerin sei aber nach ihren eigenen Darlegungen von keiner lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung betroffen. Auch seien die medizinischen Angaben der Beschwerdeführerin unzureichend, um im Hinblick auf das von ihr begehrte Medizinprodukt eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf prüfen zu können. Die Beschwerdeführerin habe weder vergleichende Angaben zu ihrem und dem Gesundheitszustand anderer behandelter Versicherter gemacht noch eine fachliche Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte zu der beabsichtigten Therapie vorgelegt. Warum beides im Hinblick auf ihre nicht näher dargelegte finanzielle Situation von vornherein unzumutbar sein sollte, erschließe sich nicht. Zudem fehle es an wesentlichen Informationen zu medizinischen Erkenntnissen über die Wirksamkeit des von ihr begehrten Medizinprodukts.
Keine Ausweitung des verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf schwerwiegende Krankheiten

Das BVerfG hält es – wie bereits mehrfach festgestellt – nicht für geboten, den verfassungsunmittelbaren Anspruch auf schwerwiegende Krankheiten zu erweitern, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Es würde auch dem Ausnahmecharakter eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs nicht gerecht, ihn in großzügiger Auslegung der Verfassung zu erweitern und so die sozialstaatliche Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers außer Acht zu lassen. Das BVerfG weist außerdem darauf hin, dass eine solche Erweiterung fachgerichtlich schon anerkannt und mittlerweile auch gesetzlich in § 2 Abs. 1a SGB V normiert worden sei. Diese Änderung des einfachen Gesetzesrechts könne jedoch den verfassungsunmittelbaren Anspruch nicht erweitern. Im Übrigen sei die einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage erst im Jahr 2012 geschaffen worden und erfasse daher zeitlich das vorliegende fachgerichtliche Verfahren nicht.
Fehlende demokratische Legitimation des GBA nicht genügend dargetan

Das BVerfG hält die Verfassungsbeschwerde auch insoweit für unzureichend begründet als die Beschwerdeführerin rügt, dass dem GBA die demokratische Legitimation bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche der Versicherer fehle. Ein Beschwerdeführer könne einen Anspruch auf Gewährleistung verfassungsmäßiger Ausgestaltung des Verfahrens der Leistungsgewährung prozessrechtlich nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nur dann geltend machen, wenn er darlege, die begehrte Behandlungsmethode biete eine zumindest auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Hieran fehle es im vorliegenden Fall aber.
Generelle und allgemeine Zweifel an der demokratischen Legitimation des GBA nicht ausreichend

Laut BVerfG bedarf eine Verfassungsbeschwerde, die im Ergebnis auf Aufnahme eines Medizinprodukts in eine GBA-Richtlinie ziele und das dem zugrunde liegende Verfahren aufgreife, zudem einer Befassung mit der konkreten Befugnisnorm für die streitige GBA-Richtlinie. Durchaus gewichtige aber nur generelle und allgemeine Zweifel an der demokratischen Legitimation des GBA genügten nicht. Vielmehr seien konkrete Ausführungen nicht nur zum Einzelfall, sondern auch zur Ausgestaltung der in Rede stehenden Befugnis, zum Gehalt der Richtlinie und zur Reichweite der Regelung erforderlich.
Demokratische Legitimation für jeweils konkrete GBA-Richtlinie zu prüfen

Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass der GBA für eine Richtlinie hinreichende Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität trifft, während sie für eine andere seiner Normen fehlen könne, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich sei hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet sei und beaufsichtigt werde. Dem werde die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Insbesondere auf die allein in Frage stehende Befugnisnorm des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V und auf die demokratische Legitimation des GBA gerade für die darauf gründende Richtliniensetzung gehe sie gar nicht ein, sondern begnüge sich mit der Wiedergabe allgemeiner Zweifel an der generellen Legitimation des GBA.